Dissertation Project Kramer

Wie Demokratien Krisen überstehen können: Governance, Vigilanz und Resilienz während der Corona-Pandemie in Japan

Paul J. Kramer, M.A., B.A. Japanologie, B. A. Soziologie (SFB 1369 Vigilanzkulturen, LMU München)

Betreuer*innen: Prof. Dr. Gabriele Vogt (LMU München), Prof. Dr. Hanno Jentzsch (Universität Wien)

Voraussichtliches Erscheinungsdatum: 2027 (Deutsch)

kramer.paul@lmu.de

Die Corona-Pandemie (Covid-19) war ein Stresstest für das Krisenmanagement von Regierungen. In Deutschland gelang es mit der Strategie des „Hammer und Tanz“, die Gesundheit von vulnerablen Mitgliedern der Gesellschaft zu schützen. Jedoch führten die radikalen Freiheitseinschränkungen zu Polarisierungseffekten. Japans Reaktion war in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. Anstatt rechtlich verbindlicher Maßnahmen umzusetzen, appellierte die Regierung an „Selbst-Zurücknahme“ (jishuku). Empfehlungen für Masken, Social Distancing und verminderte Mobilität wurden von der Bevölkerung strikt befolgt. Die durch Überalterung besonders vulnerable Bevölkerung Japans erreichte eine niedrigere Übersterblichkeitsrate als Deutschland. Dies gelang bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des öffentlichen Lebens, ohne Eingriffe in individuelle Freiheitsrechte und ohne dass es zu öffentlichem Widerstand oder gar weitreichenden Protesten gegen die Regierung kam.

Ein erster Ansatz hat den Erfolg schnell auf die japanische Kultur zurückgeführt. Diese sei durch Konformitätsdruck (dōchō atsuryoku), vorauseilenden Gehorsam (sontaku) und den Druck der urteilenden Blicke geprägt. Die sogenannte Selbst-Zurücknahme-Polizei (jishuku keisatsu), Personen, welche Missachtung von Infektionsschutzmaßnahmen durch öffentliche Ächtung sanktionierten, habe eine zentrale Rolle gespielt. Ein zweiter Ansatz hebt die Bedeutung von sozialem Kapital, sozialen Netzwerken und sozialer Infrastruktur hervor, welche wesentliche Prädiktoren für kommunale Resilienz seien. Ein dritter Ansatz konzentriert sich auf die engen Netzwerke der lokalen Governance, welche unverzichtbar für wirksamen und sozialverträglichen Infektionsschutz waren.

Ich frage, wie ein zielführendes, lösungsorientiertes und demokratieverträgliches Krisenmanagement funktionieren kann. Durch die Linse der Vigilanz integriere ich die bestehenden Forschungsansätze und analysiere, wie durch das Zusammenspiel von Governance-Strukturen und institutionalisierten Formen der Vigilanz demokratische Resilienz aktiviert werden konnte. Durch ein explorativ-interpretatives Forschungsdesign, das auf einen qualitativen und quantitativen Methodenmix zurückgreift, werden folgende drei Teilfragen untersucht: 1) Wie wird Vigilanz gesellschaftlich adressiert? 2) Wie wird Vigilanz in Governance eingesetzt? 3) Wie wird Resilienz in Alltagspraktiken durch Vigilanz hergestellt? Die Dissertation schließt damit an die andauernde Debatte an, wie Demokratien Krisen- und Transformationsmomente gestalten können, und versucht, sie durch die Linse der Vigilanzkulturen zu erweitern.